Der Überlebenskünstler

Michael Finke setzte sich immer wieder gegen Widrigkeiten in seinem Leben durch - der Triathlon ist ihm dabei eine große Hilfe.

Michael Finke
Michael Finke
„Es war eine ganz, ganz fürchterliche Zeit, einfach nur brutal“

Der Eingriff an seinem Knie im November 2020 ist für Michael Finke fast schon so etwas wie Routine. Eigentlich. Er hat schließlich schon fünf Knie-Operationen hinter sich. Doch diesmal verläuft alles anders, dramatisch anders. 

Das Antibiotikum, das ihm zusammen mit dem Narkosemittel zugeführt wird, löst bei Finke einen anaphylaktischen Schock aus. Er erleidet einen Herzstillstand sowie einen Herzinfarkt. Zwei Wochen liegt der heute 58-Jährige im Koma, danach längere Zeit auf der Intensivstation. Dort leidet er an Halluzinationen und unter Wahnvorstellungen. Erst nach Wochen kann der Hobby-Triathlet das Krankenhaus verlassen. 

„Es war eine ganz, ganz fürchterliche Zeit, einfach nur brutal“, sagt Finke: „Wenn mir damals jemand gesagt hätte, es ist vorbei, es wäre für mich okay gewesen.“

Doch Finke ist ein Stehaufmännchen. In den 1980er Jahren muss er nach einem schweren Motorradunfall über einen Zeitraum von vier Jahren verteilt bereits zwei Jahre im Krankenhaus verbringen. Und auch diesmal findet er einen Weg zurück ins Leben.

Auf die Phase, in der es ums Überleben geht, folgt die Phase, in der wieder an Bewegung zu denken ist. „Es ging vor allem darum, wieder Vertrauen in den Körper zu bekommen“, erinnert sich Finke. Das gelingt ihm in der Reha. Übers Walken beginnt er wieder zu rennen, bald auch Rad zu fahren. Er setzt sich, ohne jemandem davon zu erzählen, ein (Wettkampf-)Ziel. Zur Motivation: „Das habe ich gebraucht.“

Viereinhalb Monate nach dem Ende der Reha startet er beim Ironman 70.3 Graz, belegt Rang 15 in seiner Altersklasse- und qualifiziert sich mit dieser Leistung für die Ironman-70.3-Weltmeisterschaften. „Das war schon ein krasser Moment, die WM ein sehr emotionales Erlebnis“, unterstreicht Finke.

Der krasseste in bislang rund eineinhalb Jahrzehnten Triathlon. Der 58-Jährige findet durch Zufall um 2010 herum über einen Freund zum Triathlon. Der Lifestyle, das Drumherum um das eigentliche Training, faszinieren ihn. Triathlon wird schnell zur Leidenschaft - und zum sportlichen Mittelpunkt seines Lebens. Er startet auf allen Strecken bis zur Mitteldistanz, nimmt mehrfach für die deutsche Altersklassen-Nationalmannschaft an internationalen Meisterschaften teil. Zuletzt an der EM in München 2022 und der WM in Hamburg 2023.

Nach dem Wettkampf-Comeback in Graz im Sommer 2021 denkt Finke, er habe es geschafft, habe alles Schlimme hinter sich gelassen.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Sportlich ist es seit dem Ende der Reha steil bergauf gegangen, psychisch jedoch bergab. Schon in den Tagen und Wochen nach der Operation hat er mit massiven Schlafstörungen, Angststörungen und Panikattacken zu kämpfen. Sie plagen ihn vor allem nachts, lassen ihn nicht schlafen. Sie plagen ihn jedoch nie, wenn er sich sportlich betätigt.

Trotzdem merkt er: Alleine wird er diese Probleme nicht in den Griff bekommen. Er sucht sich professionelle Hilfe bei einem Psychologen, geht im September 2023 für drei Monate in eine Klinik. Der Schritt sei ihm nicht schwergefallen: „Ich habe gelernt, Ängste zu akzeptieren und Hilfe anzunehmen.“

In den drei Monaten lernt Finke vor allem noch etwas: Er darf dem Sport nicht diese riesenhafte Bedeutung in seinem Leben zuteilen, benötigt noch andere Hobbys, die ihn glücklich machen und ihm Befriedigung verschaffen. „Das mindert die Gefahr, in ein Loch zu fallen“, erklärt er. 

Finke räumt dem Sport noch immer einen großen Platz in seinem Leben ein. Das Training versucht er nun allerdings gezielter und bewusster zu absolvieren. Und: er nimmt sich mehr Zeit für andere Dinge, beispielsweise um Freunde zu treffen oder Vorträge über sein Trauma zu halten und so anderen Mut zu machen und zu helfen.

Die sechste Knie-Operation ist nach dem missglückten Versuch im November 2020 bislang übrigens nicht durchgeführt worden. Finke bewegt sich derzeit ohne Knie-Probleme.

Du hast auch eine tolle, spannende oder witzige Geschichte zu erzählen, wie du zum Triathlon gekommen bist? Oder Verletzungen/Krankheiten oder besondere Momente/Ereignisse haben dich erst recht angespornt, (weiter) aktiv zu sein? Dann schreibe uns eine E-Mail an medien@dtu-info.de. Und vielleicht erscheint hier bald deine Geschichte.